"Ich habe eine pluralistische Idee von Design"
Nipa Doshi verbindet weltliche Gestaltung mit den traditionellen Formen ihrer indischen Heimat
Warum ist die Design-Branche noch immer männlich dominiert? Ich glaube, dass Deutschland daran nicht ganz unschuldig ist. In der Bauhaus-Tradition wurde Design auf das Elementare reduziert und sehr technologisch verstanden. Und Frauen wurden als zu wenig technisch begabt angesehen. Noch heute stellen viele Design-Firmen lieber Männer ein, weil man dort glaubt, Frauen könnten nicht wirklich produzieren. Als ich gleichzeitig mit meinem heutigen Partner Jonathan mit dem Studium in London fertig war, bekam er sofort Jobangebote. Ich nicht. Ich musste mich mit technischen Zeichnungen durchschlagen.
Ich glaube, diese unterschiedliche Einschätzung von Frauen und Männern wirkt bis heute. Ich habe neulich den Film Rams über den berühmten Designer Dieter Rams gesehen. Im Publikum saßen fast nur Männer. Für mich stehen sie für eine alte, verengte Auffassung von Design.
Ich bin damals zurück nach Indien gegangen. Dort wurde ich sofort eingestellt. So viel zum Vorurteil, der Westen sei viel offener als die indische Gesellschaft. An Indien mag ich die Kultur der Nachhaltigkeit und des Respekts. Ich kenne niemanden dort, der Schuhe oder einen Toaster wegwirft, weil sie kaputt sind. Stattdessen werden die Dinge repariert. Es gibt dort viele kleine Werkstätten, reparieren ist viel günstiger, als neu zu kaufen. Ich frage mich, warum wir im Westen dagegen allem huldigen, was neu ist. Warum brauchen wir ein neues Smartphone – nur weil es neu ist? Warum müssen wir eine perfekte Haut haben? Warum hassen wir das Alter? Das sind für mich Dinge, die man von Indien lernen kann.
In Indien wächst man mit vielen Farben auf, mit allerlei Handwerkskünsten und vielen Göttern. Es ist eine sehr pluralistische Gesellschaft. Vielleicht habe ich deshalb eine pluralistische Idee von Design. Auch Stoffe sind für mich wichtig, meine Mutter hatte mehr als hundert Saris, in vielen Farben und Materialien und in verschiedensten Techniken gewoben. Ich wollte erst nicht dem Klischee entsprechen, dass Frauen vor allem gut mit Stoffen und Farben umgehen können, dagegen habe ich mich lange gewehrt. Ich wollte eine "echte" Industriedesignerin sein. Aber ich merkte, dass ich einfach ein Talent für Stoffe und Farben habe. Stoffe sind unberechenbar. Man kann sie nicht digital simulieren, man muss sie selbst herstellen und mit ihnen experimentieren. Dass es deswegen schon "weibliches" Design ist, glaube ich nicht.
Für mich gibt es kein gutes oder schlechtes Design. Es heißt, Design müsse funktionieren, oder: Weniger ist mehr. Aber Design muss nicht funktionieren. Und für mich ist oft mehr einfach mehr.
(Tillmann Prüfer)