Die Reise an den Rand der Ungewissheit dauerte eine Nacht und einen Tag und endete auf einer matschigen Wiese. Monika Korte war von Berlin über Amsterdam nach São Paulo geflogen, von dort nach Cuiaba und weiter in den Nationalpark Pantanal im Zentrum Brasiliens. Nachdem die Cessna gelandet war, stand die Geophysikerin aus Potsdam am Rande eines Sumpfgebiets, in Sichtweite ein Krokodil, Tausende Kilometer unter ihr ein rätselhafter Defekt im Geodynamo. Das Krokodil begnügte sich mit einigen Äpfeln, die ihnen die Nationalpark-Ranger zuwarfen. Die Sache mit dem Erdmagnetfeld ist komplizierter. Und gefährlicher.
Das Erdmagnetfeld reicht Tausende Kilometer weit ins Weltall und spannt einen Schutzschirm um die Erde, indem es geladene Teilchen der Sonne – den Sonnenwind, der auch zum starken Sonnensturm werden kann – von uns fernhält. Doch über dem Pantanal hat der Schutzschirm ein Loch.
Der Nationalpark liegt am westlichen Rand einer Art magnetischen Bermudadreiecks, das sich von Brasilien quer über den Südatlantik erstreckt. Hier hat das Magnetfeld der Erde in den vergangenen 30 Jahren um 12 Prozent abgenommen und ist heute teilweise nur halb so stark wie etwa in Europa. Wissenschaftler fasziniert das Phänomen: Monika Korte vom Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam hilft brasilianischen Forschern, die Störung präzise zu vermessen. Satellitenbetreiber hingegen fürchten es, sie reden von der »südatlantischen Anomalie« wie von einer Seuche. Geladene Teilchen dringen hier in die Umlaufbahnen vor und stören die Elektronik.
Das Hubble-Teleskop in 560 Kilometer Höhe macht sicherheitshalber keine Aufnahmen, während es die berüchtigte Region überfliegt. Astronauten der Internationalen Raumstation bekommen hier auf dem 400 Kilometer hohen Orbit in wenigen Minuten die Hälfte ihrer täglichen Strahlendosis ab. An Bord der Spaceshuttles stürzten früher Laptops ab. Mitunter ist sogar ein Totalschaden zu beklagen – wie vor Kurzem am französischen Forschungssatelliten Corot. Nachdem er am 2. November 2012 mal wieder die südatlantische Anomalie passiert hatte, herrschte Funkstille. Alle Versuche, die Software neu zu starten, blieben erfolglos.
Manche Forscher hegen den ungeheuren Verdacht, dass die Ereignisse vor Brasilien womöglich nur das Vorspiel sind zu einer globalen Umpolung des Magnetfelds. Normalerweise liegen der magnetische Nordpol und der magnetische Südpol in der Nähe der geografischen Pole. Während einer Umpolung jedoch wandern sie quer über den Planeten und tauschen ihre Plätze. Dabei kann sich das Magnetfeld vorübergehend auf ein Zehntel seines Normalwertes abschwächen. Neue Daten belegen, dass so ein Poltausch schneller vonstatten gehen kann, als bislang angenommen. Die Menschheit hätte dann ein Problem.
Mehrere Pole gleichzeitig könnten entstehen
Denn das Erdmagnetfeld nimmt während der Umpolung eine seltsame Gestalt an. Im Normalfall sieht es so aus, als wäre die Erdachse ein Stabmagnet. Doch während der Umpolung scheint dieser zu zerbrechen, es bilden sich vorübergehend mehrere Nord- und Südpole. Der Sonnenwind trifft dann an mehreren Stellen auf die Atmosphäre. Die Luft würde zwar weiterhin einen Großteil der Partikel aufhalten; Menschen, Tiere und Pflanzen wären also nicht unmittelbar gefährdet durch das Bombardement, das das Erbgut schädigen kann.
Allerdings würden während einer Umpolung wohl zahlreiche Satelliten ausfallen. Und wenn die Sonne größere Materiemengen in Richtung Erde spuckte – Sonnenstürme –, würden diese regelmäßig die Infrastruktur lahmlegen. Die elektrisch geladenen Partikel erzeugen Stromspitzen in Überlandleitungen. Schon heute drosseln Atomkraftwerke in den USA ihre Leistung, wenn ein starker Sonnensturm unterwegs ist.
Monika Korte steht in einem Holzhäuschen im brandenburgischen Niemandsland und späht durch ein Fernrohr, das auf einem Marmorsockel steht – ihre Reise nach Brasilien ist gut ein Jahr her. Einmal in der Woche fährt sie von Potsdam hier heraus, biegt von der Landstraße rechts ab und parkt am Waldrand, wo zwischen Sträuchern und Kiefern ein paar versprengte Hütten stehen: das Geomagnetische Observatorium des GFZ Potsdam. Hier werden die Stärke und Richtung des Erdmagnetfeldes so genau vermessen wie nur an wenigen Orten sonst auf der Welt. Korte peilt durch das Fenster den Wasserturm von Niemegk an, dem benachbarten Dorf, dann dreht sie das Fernrohr zur Seite, bis der Magnetfeldsensor senkrecht zu den Magnetfeldlinien steht, und liest den Winkel ab.
Kommentare
Danke...
... für diesen spannenden Artikel.
Finde ich auch..
.. sehr spannend und wir dürfen gespannt sein ob unsere Generation das wohl noch erlebt oder erst unsere Kinder oder Kindeskinder. Wer weiß....
Überleben werden wir es jedenfalls und die Zeit muss in der Zeit vielleicht wieder vom Papier gelesen werden ;-)
Gefahren
Guter Artikel!
Meine Einfälle zu den Gefahren ..
Krebserkrankungen: ich glaube, die heutigen Mittelchen in unseren industriell gefertigten Mahlzeiten sind da ein größeres Risiko.
Satellitenschäden: Der Wetterbericht wird wahrscheinlich unzuverlässiger. Glaubt am Wetterbericht überhaupt jemand? ;)
Ich hätte hier eher die GPS Satelliten und Navigation erwähnt. Könnte zum Problem werden, allerdings haben wir auch ohne GPS in den Urlaub gefunden.
Blackouts: großflächige Stromausfälle. Hier wird es interessant. Man denke na NY nach dem Sturm im Winter.
Klimawandel: Die kosmische Strahlung ionisiert Luftmoleküle. Ob sich dadurch mehr Wolken bilden und die Erde abkühlt, ist noch unsicher." Damit wird den Klimaskeptikern ein neues Argument gegen Umweltschutz und Abgasnormen zugespielt :S
Weitere Einfälle (zu 4)
Die Telekommunikation wird dadurch vermutlich ebenso großflächig ausfallen. Kein Internet und kein Telefon.
Vermutlich auch kein Fernsehen...
Also zurück in die Unvernetzte Zeit. Unsere "armen" Kinder werden nichts mehr mit sich anzufangen wissen...
Diesem Lob möchte ich mich anschließen, dass ist
ein sehr guter und ausführlicher Artikel zu einem wenig bekannten Forschungsgebiet, das nichtsdestoweniger große Relevanz hat.
Allein die Tatsache, dass der Alltagsverstand große Schwierigkeiten hat, sich relativ kurzfristige Veränderungen physikalischer Verhältnisse auf globaler Ebene vorzustellen, macht die Sache bemerkenswert.
Wichtige Lektüre auch für Menschen, die rein gefühlsmäßig annehmen, es gäbe eben "immer" Öl, das Klima würde sich "nie" grundlegend verändern etc.
Vielen Dank
für diesen tollen Artikel. Ich wünschte mir mehr davon, auch zu anderen Wissenschaftsgebieten. Es ist noch immer so, dass wir überall Experten haben, aber eigwentlich stehen wir immer noch bei Sokrates: Wir wissen, dass wir nichts wissen. Oder zumindest nicht sehr viel. War sehr interessant, den Artikel zu lesen. Danke an die Zeit, danke an Herrn Rauner.