Vor allem hab Zeit und nimm Umwege.
Lass dich ablenken. Mach sozusagen Urlaub.
Überhör keinen Baum und kein Wasser. Kehr ein, wo du Lust hast, und gönn dir die
Sonne
(Peter Handke: "Über die Dörfer")
Tief im Taunus, in Lorsbach, wohnt eine Waldbademeisterin. Das klingt zunächst etwas merkwürdig, denn weit und breit ist kein Schwimmbad zu sehen, der nächste Waldsee ist weit weg. Neben dem Haus von Annette Bernjus fließen Goldbach und Schwarzbach, aber die sind zu flach zum Schwimmen. Statt Bademöglichkeiten gibt es im Lorsbachtal allerdings jede Menge Bäume. Apfelbäume und Fichtenpflanzungen, Eichen- und Buchenwälder. Geht Annette Bernjus hier im Laub baden? Taucht die Waldbademeisterin in Farne, Moos und Wurzelwerk? Bernjus lacht über die Berufsbezeichnung, die es offiziell nicht gibt. Aber das mit dem Eintauchen sei gar nicht so falsch, sagt die 56-Jährige. Bernjus arbeitet daran, "Waldbaden" in Deutschland populär zu machen. Überall im Land bildet sie Kursleiter aus. Vor Kurzem hat sie ein Buch über das Waldbaden geschrieben.
Waldbaden bedeute, sagt Bernjus, in die angenehme Atmosphäre des Waldes einzutauchen: wo es würzig riecht, das Licht milde schimmert, die Luft klar ist, sich die Wipfel im Wind wiegen und der Boden unter den Füßen federt. "Der Wald tut uns gut", sagt sie und verweist auf eine fernöstliche Tradition: Shinrin-yoku ist japanisch für Wald(luft)bad. Das japanische Landwirtschaftsministerium führte Shinrin-yoku schon Anfang der achtziger Jahre ein und förderte ein millionenschweres Forschungsprogramm, um die medizinische Wirkung des Waldbadens nachzuweisen. Vor zwölf Jahren eröffnete dann das erste Zentrum für "Waldtherapie", und japanische Universitäten bieten inzwischen eine fachärztliche Spezialisierung in "Waldmedizin" an. Bis zu fünf Millionen Japaner nutzen jedes Jahr die angelegten Wege des Nationalen Erholungswaldes von Akasawa. Südkorea legt Forest Bath Parks in der Nähe von Städten an, und im hügeligen Norden entstanden fünf große Natural Recreation Forests.
Nun also auch Deutschland. Im Ostseebad Heringsdorf auf Usedom ist gerade der nach eigenen Angaben "erste europäische Kur- und Heilwald" entstanden. Das 180 Hektar große Gelände gilt als Vorbild für einen "Heilwald" in Bad Doberan bei Rostock und für andere Gemeinden im wald- und wasserreichen Mecklenburg-Vorpommern, die ihr Grün vermarkten wollen. Das zur Charité gehörende Immanuel-Krankenhaus plant einen Waldbadepfad direkt am Berliner Wannsee, und die Landesgartenschau im Teutoburger Wald von Bad Iburg hat Waldbaden in ihr tägliches Veranstaltungsprogramm aufgenommen – dort hat Annette Bernjus gerade zwölf Waldbadekursleiter ausgebildet.
Was ist da los? Warum kann man nicht einfach von Spazierengehen reden? Waldbaden klingt wie ein neuer Köder von Tourismusmanagern, um die Menschen in die Provinz zu locken, raus aus den Wellnessoasen und Fitnessstudios der Städte. Aber vielleicht steckt ja mehr dahinter. Vielleicht sind die Japaner etwas Großem auf der Spur: der Heilkraft der Bäume.
Der Sehnsuchtsort deutscher Romantik, der zum Holzwirtschaftsraum verkommen ist, soll zum Behandlungszimmer für Naturmedizin werden. "Wenn ich mit Kursteilnehmern im Haus Entspannungsübungen mache, rutschen sie schon nach drei Minuten unruhig auf ihren Stühlen herum", sagt Annette Bernjus. "In einer natürlichen Umgebung entspannen sich die meisten viel schneller. Im Wald sitzen sie zehn, zwanzig Minuten still auf einem Baumstumpf; dort spüren wir unser existenzielles Bedürfnis nach Natur. Unsere Verbindung zur Natur ist abrufbar, sie ist da."
Aber kann der Wald mehr als Wellness? Welche medizinischen Effekte des Waldbadens sind seriös belegbar und nicht nur gefühlt vorhanden? Und gibt es bald Waldbesuche auf Rezept?
Wissenschaftler in Deutschland und Österreich erforschen nun, ob sich der heimische Wald wirklich für medizinische Zwecke nutzen lässt. Auch wenn die japanischen Waldmediziner damit recht haben sollten, ist ja noch lange nicht gesagt, dass Eichen, Buchen und Birken dieselbe Wirkung haben wie die in Japan verbreiteten Pinien, Zedern und Lerchen.
Unbestritten ist, dass der Wald dem Menschen guttut. Biophilia nannte das in den achtziger Jahren der Evolutionsbiologe Edward O. Wilson. Er meinte damit unsere Liebe zu allem Lebendigen. Wir seien genetisch dazu bestimmt, die Natur zu lieben. "Das ist in unserer DNA", schrieb Wilson, wir seien Teil des web of life. Unsere Verbindung mit der Natur sei "das Resultat eines Jahrmillionen langen Evolutionsprozesses", schreibt der österreichische Biologe Clemens Arvay in seinem 2016 erschienenen Buch Der Biophilia-Effekt. Die Natur ist "unser evolutionäres Zuhause", meint Arvay, darum liege in dieser archaischen Verbindung die Möglichkeit "grüner Heilung". Fragt sich nur: Heilung wovon?
Kommentare
+++ Wer richtig in den Wald eintaucht, tut etwas für seine Gesundheit – in Japan gilt Waldbaden als Medizin. Was sagt die Wissenschaft? +++
Waldbaden als neuer Wellness-Trend? Bisher hieß das einfach Waldspaziergang. Die ältere Generation kennt noch die segensreiche und gesunde Wirkung, mit allen 5 Sinnen, manchmal sogar mit 6 durch den Wald zu laufen. Sogar ganz ohne wissenschaftliche Studien.
Und dazu muss man nichtmal nach Japan fahren. Sondern nur die zivilisatorischen Betonwüsten hierzulande für eine kurze Zeit hinter sich lassen.
Ja, diese fernöstlichen Gesundheitsideen sind nicht ohne. Warum also nicht zwischen den Bäumen "baden"?
Mao dagegen schätzte das Bad im warmen Wasser zusammen mit jungen Mädchen vom Lande.
Und ich überlege gerade, ob man diese beiden Therapien nicht irgendwie kombinieren kann. Ein schönes Stück naturnaher Wald, angereichert mit natürlichen jungen Frauen, als Entspannungsoase für den stressgeplagten Großstädter.
Eine Geschäftsidee, die ausbaufähig sein sollte...
Im Wald "gebadet" habe ich bereits seit Kindesalter, das hieß nur in den 50er-Jahren noch nicht so, sondern war Spielen, Spazieren und später Wandern, Picknick usw.
Da können Sie mal sehen: von Anfang an alles richtig gemacht!
Das Thema an sich und die aktuelle Diskussion darüber empfinde ich als recht spannend, unter anderem eben gerade weil sie an einem für alle leicht nachvollziehbaren, völlig offensichtlichen Beispiel beschreibt, wieviel Wissen und Intuition gerade in unseren Breitengraden binnen der letzten Jahrzehnte verlorengegangen sind. Während es für Leute wie Sie einen Schmarrn darstellen mag, den regelmäßigen obligatorischen Wandertag, das Picknick etc... nun als Waldbaden zu vermarkten, gibt es mittlerweile sicher mehrere Millionen Menschen in Dtl., die noch nie bewusst und erst recht nicht regelmäßig in einem Wald unterwegs gewesen sind und demnach absolut keine Relation davon haben, wieviel Wichtiges sie da eigentlich verpassen.
Wir leben heutzutage so dermaßen krass entfernt von faktisch allen Ursprüngen, sei es das Essen, die Arbeit, das Wohnen, der Tod - alles ist isoliert, verfremdet, nicht nachvollziehbar. Von Druck und Stress und Ängsten ganz zu schweigen. Das alles ist nicht gut, es spaltet im Inneren vom Wesentlichen ab, aber die Wenigsten sind sich dessen überhaupt bewusst.
Da ist ein Artikel wie der obige sicher Anfang, und das Zitat zu Beginn eh Goldes Wert.
In unseren Kreisen ist das nur noch bedingt möglich. Die Art und Weise wie bei uns in den letzten Jahren abgeholzt wird, macht dieses "Waldbaden" quasi unmöglich und müsste eher als "Truppenübungsplatz-Baden" (denn so sehen die Wälder bei uns in BW aus wenn alle paar Meter mit den riesigen "Monster-Maschinen" eine Schneise durch die Wälder gezogen wurde) heißen . ;)
GERADE in BW sollte das doch garkein Problem sein. Immerhin liegt in diesem Bundesland meines Wissens der Schwarzwald. Und dort konnte ich auf diversen Wanderrouten dieses von Ihnen beschriebene Phänomen nicht ansatzweise beobachten.
"Das Wort für Welt ist Wald" (U. LeGuin)
Und weil der nun halt mal mehr ist als die Summe seiner Teile, greifen Erklärungsmuster à la "die Terpene sind's" oder "hauptsache grün" ein wenig zu kurz.
Wenn man dann allerdings anfängt, mit "Achtsamkeit" gleich eine neue Mode daraus machen zu wollen, ist's mit der positiven Wirkung schnell vorbei. Jedenfalls bei mir; ich kriege von sowas allergischen Ausschlag.
"Wenn man dann allerdings anfängt, mit "Achtsamkeit" gleich eine neue Mode daraus machen zu wollen, ist's mit der positiven Wirkung schnell vorbei. Jedenfalls bei mir; ich kriege von sowas allergischen Ausschlag."
Schön formuliert, mir geht es ähnlich. Wobei es zumindest mir da weniger auf die "Achtsamkeit" als solches ankommt, sondern die Ausrufung zum Trend und die dahinterstehende Ambition, den vom heutigen (Arbeits-) Leben völlig gestressten und kurz vorm endgültigen Abklappen stehende Menschen aus dem Spiel zu nehmen, ihn sich erholen und regenerieren zu lassen - nur um ihn anschließend postwendend wieder voll funktionsfähig in die Mühle zurückzuschicken, auf dass er erneut hohe Erträge bringen möge.
Obiger Artikel lässt sich diesbezüglich gottseidank nicht soviel vorwerfen, Obacht ist bei derartigen Trends aber immer geboten.
Definitiv! "Auf alle Fälle gibt uns das Waldbaden die Erlaubnis, endlich wieder im Wald herumtrödeln zu dürfen" Anscheinend braucht man als am Puls der Zeit lebender Großstädter für alles nicht direkt produktive irgendeinen plakativen Begriff zur Rechtfertigung.
Ich beobachte da wieder das typische Trend-hinterherhecheln einer ganz speziellen Gruppe, die von einem Hypetrain direkt in den nächsten umsteigt. Bald ist das auch wieder vorbei, dann hat man da wieder seine Ruhe :)
Die beobachteten positiven Effekte auf die Gesundheit und die Genesung kranker Menschen dürften allerdings gerne mehr Beachtung bei der Planung von Architektur, insbesondere bei Kliniken finden.
Ich brauche auch keine Theorien und sonst etwas, um mich in der Natur wohl zu fühlen, gerade im Wald, aber es soll Leute geben, die gern viel Brimborium mögen. Solange sie mich damit einigermaßen in Ruhe lassen, freue ich mich, dass die Natur auch mal als Wert für sich vorkommt und nicht nur eine "Freifläche" ist, die vorzugsweise in absehbarer Zeit bebaut oder wenigstens "besser genutzt" werden sollte...